AUFSCHIEBERITIS BEKäMPFEN ODER FöRDERN?

„Nach drei Jahren Psychotherapie“, sagt meine Freundin Eva und nimmt einen Schluck von ihrem Weißwein, „falle ich immer noch auf die ­falschen Männer herein. Nur dass ich jetzt weiß, warum. Für dasselbe Geld hätte ich auch eine Busenvergrößerung machen können.“ „Und was ­hättest du dadurch gewonnen?“, frage ich. „Dass sie wenigstens auch auf mich hereinfallen.“ Ich grinse. „Ich habe durch Psychotherapie meine Prokrastination besiegt.“ „Die Aufschieberitis?“ „Genau! Jetzt vereinbare ich beim kleinsten Ziehen schon einen Zahnarzttermin und warte nicht, bis er nur mehr die Ruinen abreißen kann. Ich vergesse keine Steuer­erklärung mehr und warte nicht, bis der Schimmel im Bad unter der Tür hervorkriecht.“ „Aber dann besteht dein Leben doch nur mehr aus Schimmel wegkratzen, Steuererklärung machen und beim Zahnarzt sitzen.“ „Blödsinn!“, rufe ich wie eine, die sich ertappt fühlt. Eva grinst und bestellt noch zwei Achtel.

„Ich verschiebe meistens.“ Sie zeigt mir ihr Handy. „Diese Nachricht hat mir mein Chef heute Mittag geschickt. Aber ich hab’ sie nicht gelesen.“ „Ist das nicht Arbeitsverweigerung?“ „Nein, ich weiß ja, was drinsteht: ‚Ich brauche dringend neue Ideen für die morgige ­Präsentation.‘“ „Und dazu hast du keine Lust gehabt?“ „Nein, ich wollte nur Präkrastination vermeiden!“ Sie grinst. „Das ist auch eine Krankheit und bedeutet: Ständig umsonst arbeiten, indem man zu schnell auf Aufträge reagiert.“ Sie lacht. „Wenn ich ihm heute Nachmittag neue Ideen geliefert hätte, hätte er heute Abend wieder neue gebraucht.“ Sie zwinkert mir zu. „Und so werden ihm sogar meine alten Ideen, ohne dass ich einen Finger rühren muss, morgen in der Früh wieder gefallen . . .“ Ihr ­Grinsen wird breiter. „. . . müssen.“

2023-05-30T08:36:31Z dg43tfdfdgfd